99 % aller fotografen sind bloss miese Knipser
Sagen Sie zu einem, der gerne und vermeintlich gut fotografiert, Idiot oder Säufer, Hurenbock oder Dumpfbacke – all das wäre nicht der Ansatz einer solchen Beleidigung als wenn Sie sagen würden: „Dein Bild ist retuschiert. Mit Photoshop nachgearbeitet”. Das ist die größte Erniedrigung einem Fotografen gegenüber. Gleichzusetzen mit: Du dösiges Stück kannst ja gar nicht fotografieren ...
Fotografen unterliegen oft, sehr oft, einem Wahn, der dermaßen lächerlich ist, dass man darüber weinen könnte. Der krankhaften Sucht, „real“ zu fotografieren; vermeintlich das, „wie es ist”, übersetzbar: das Original abzubilden.
In der Fotografie ist vieles möglich, nur eins überhaupt nicht, nie, nimmer, niemals: eine Szene original wiederzugeben. Versuchen Sie, Ihren eigenen Schatten einzufangen und stecken Sie ihn in einen Plastiksack; möglicherweise könnten Sie das schaffen. Doch etwas original fotografisch abzubilden: In diesem Universum ist es grundsätzlich nicht möglich. Es gibt kein einziges physikalisches Gesetz, welches dies ermöglicht. Es ist das Unmöglichste unter all dem anderen Unmöglichen.
Und der Anspruch, es zu tun, der eigentlich jämmerlichste, den man sich vorstellen kann. Wie will ein heutiger Musiker wissen, was sich Bach gedacht hat (oder Mozart oder Sibelius oder Brahms oder Bernstein), als sie ein Werk komponierten? Wie will er die originale Intention wiedergeben? Wie will ein Schauspieler auf die Bühne oder ein Regisseur auf die Leinwand bringen, was sich der Autor, die Autorin beim Schreiben des Schauspiels, des Drehbuches vorstellten – wie also „das Original“ der Gedanken wiedergeben? Will ein Maler „Realität“ malen? Nie und nimmer! Will ein Sänger so singen wie ein anderer singt? - - - Wieso wollen Fotografen das nicht tun, was das Schönste in und an der Kunst ist: interpretieren.
Denn ihre Technik tut es sowieso, ohne dass sie auch nur einen Hauch von Chance hätten, darauf Einfluss zu nehmen. Und wie Betrachter die Bilder letzten Endes sehen – unendlich weit ist jeder Fotograf davon entfernt, das im Sinne von „ich will das Original rüberbringen“ beeinflussen oder steuern oder provozieren zu können. – Weil es den meisten Menschen dazu schlichtweg an Fachwissen fehlt.
Die wichtigsten Faktoren, die auf Farbe und Form, also "Richtigkeit" der Abbildung Einfluss nehmen (im Detail gibt es fast unüberschaubar mehr):
- Die Lichtquelle (Beleuchtung) – Echtweiß oder farbstichig?
- Streulicht, Lichtverfälschungen
- Oberflächenstrukturen (z. B. Reflektionen)
- Kameralinse (Güte)
- Der aufnehmende Chip (früher: Filmmaterial)
- Die Komprimierung der Lichtpunkte in einen Datenfile (eine erhebliche und vielfache Quelle von Farb- und Formveränderungen)
- Betrachtung der Aufnahme auf einem Bildschirm (egal, ob in der Kamera oder im Computer)
- Das Farbprofil, das Colormanagement
- Ausdrucke auf Papier: die Umrechnung des Datenfiles in einen Druckfile, die Eigenschaften des Druckers, der Farbe, des Papiers
- Das erneute Betrachten auf Papier (Leuchtquelle, Farbverfälschung)
- Das Auge des Betrachters
- Das Gehirn des Betrachters ...
- ... und etliches mehr
Das alles spricht dafür, von einer Richtigkeit der Farbwiedergabe von Motiven nicht mehr im Ansatz sprechen zu können – oder zu dürfen. Es ist eine Illusion, technische Wieder- und Weitergaben von Bildern könnten Realitäten transportieren.
Seit es grafische Darstellungen gibt – also nicht erst, seit das moderne Drucken erfunden wurde – bemühen sich alle Künstler darum, eben NICHT total realistisch darzustellen, sondern verwenden stilistische „Tricks“, um die Phantasie, das Vorstellungsvermögen, die Assoziationen und Erinnerungen der Betrachter anzuregen, wachzurufen, zu intensivieren. Genau das ist und bleibt die Aufgabe auch einer Fotografie im allgemeinen; nur dann, wenn ein extrem (!) hoher technisch-funktioneller Aufwand getrieben wird, wenn wirklich Experten am Werk sind, kann man mit Fug und Recht von Dokumentarfotografie sprechen – im Rahmen der physikalischen Grenzen unserer universellen Naturgesetze.
Ein jeder guter und »echter“ Fotograf hat schon immer mit Filmmaterial, Filtern, Sonnenständen, Beleuchtungs-Aufbauen und Belichtungszeiten die Bilder manipuliert, so dass sie Betrachtern als logisch, eingängig, „schön“ und einprägsam erschienen.
Warum man das jetzt mit den phantastischen digitalen, elektronischen Möglichkeiten und Werkzeugen nicht machen sollte, entzieht sich vollständig meiner Einsicht in höhere Logik.
Will sagen: glaube nur dem Bild, das Du selbst retuschiert hast.
Schön ist immer, was wir vor unserem Inneren Auge als schön empfinden.
Und wahr ist, was wir akzeptieren, verstehen, bereits kennen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Transport der Botschaft per Wort oder Bild geschieht.
Es kommt immer drauf an ...
Meine Hoffnung ist, für den Rest Ihres Lebens glauben Sie NIE MEHR AN DIESEN BLÖDSINN, dass ein Foto, „wie es aus der Kamera kommt” auch das zeigt, was jemals vor der Linse der Kamera wirklich WIRKLICHKEIT war.