Internet-/Online-Shopping generiert neue Grundregeln des Kaufverhaltens
B2C – Trends im Consumermarkt in der Internet-Konkurrenz
In den letzten 30, 40 Jahr ist ein ständiger Wandel ALLER Märkte und Angebots- oder Dienstleistungs-Kategorien vorhanden; mal schlei- chend und eher unbemerkt, mal ziemlich massiv und stürmisch, je nach Waren-/Service-Segment und Kategorie.
Angebot—Nachfrage versus Anspruch—Stimulation
Es gibt in Industrieländern und solcher mit sehr guter Infrastruktur – mit- hin natürlich auch Deutschland – seit geraumer Zeit praktisch keine An- gebotslücken, knappen Waren, Versorgungsengpässe – von wenigen Aus- nahmen abgesehen, die jedoch nicht trendbestimmend sind. Auch Hypes werden fast immer rasch vollversorgt bzw. die Zahl der Derivate ist meist rasch und umfänglich.
Die klassische Regel „Angebot und Nachfrage regulieren den Preis“ ist da- mit de facto außer Kraft gesetzt.
Es herrscht Voll- bis Überversorgung. Fast alle Märkte sind ge- bis übersät- tigt. Bis auf die Ausnahmen der „täglichen Versorgung“ mit notwendigen Gütern (Lebensmittel, Haushalt, Hygiene; aber neuerdings auch umfängli- che Mobilität, Kommunikationsmedien) müssen Käufe eher „angetriggert“, also stimuliert und regelrecht provoziert werden.
Die Meinung vom „souveränen Konsumenten“ ist die wirtschaftlich töd- lichste, die ein Anbieter/Händler haben kann – sie ist nunmehr schnell vollzogener wirtschaftlicher oder Bedeutungs-Selbstmord.
Kunden kaufen nach anderen Kriterien als „damals“. Der Wandel ist mani- fest, also „tief verwurzelt“, stabil, und – solange nicht ein wirtschaftlicher Kollaps kommt – wohl unumkehrbar.
Und: die Paradigmen-Umkehr, also das „auf den Kopf stellen“ der „alten Regeln“, betrifft alle Bereiche des privaten wie auch weite Teile des ge- schäftlich-industriellen Konsums, das Auswahl- und Einkaufs-Verhalten von Kunden.
Im Mittelpunkt steht die radikale „anders-Definition“ des Begriffs QUALI- TÄT. Galt der bislang fast unisono für die Warengüte (Beschaffenheit, Haltbarkeit, Geschmackseigenschaften, Gebrauchsfähigkeit, beste Resulta- te damit usw. usw.), so sind es nunmehr „weiche Faktoren“, die Qualität ausmachen. In der Reihenfolge der Wichtigkeit:
- „on demand“, bei Nachfrage/Bedarf sofort verfügbar, möglichst 24/365
- „on click“ im Sinne von einfach, bequem, unkompliziert, „nicht nervend“
- „made for me“, im direkten oder indirekten Sinne „personalisiert“ als „für mich, meine Situation, meine Umstände, Ansprüche, Bedürfnisse oder Sachzwänge passend“ – Mass Indiviualization, „massenhafte Individuali- sierung“ ist ein absolut stabiler Hype
- „discount ./. limited“ – die völlig unberechenbare und strategisch extrem entscheidende Komponente ist das Pricing – entweder „commodity“ („ge- wöhnlich“ bis „außergewöhnlich billig“) für einen Massenmarkt oder high- level, Hochpreis, für eine darüber selektierte Klientel („man muss es sich leisten können“)
Tödlich sind „angemessene Preise“ der völlig überholten Denkweise „Preise sind Gestehungskosten plus Gewinnaufschlag“. Preise sind und bleiben der in Geld ausgedrückte zugemessene Wert einer Ware oder Dienstleistung. Punkt. Ende. Aus.
Nichts anderes sind „akzeptable Preise“, deren Urwort übrigens „billig“ heißt (von billigend, zustimmend).
infogaining — autonomization
CUSTOMER 4.0
Mit „industry 4.0“ bezeichnet man in Produktions-/Industriebetrieben (allgemein: in der „Herstellung“) die netzbasierte Verknüpfung von Work- flows auf der Basis der „Autonomie der Dinge“ (Roboterisierung, auch
„Internet der Dinge“ genannt). Nicht mehr die Bediener (von Maschinen, Werkzeugen) sind wichtig oder gar notwendig, sondern „die Dinge regeln sich selbst“. Aus der Informatik als KYBERNETIK bekannt.
Solche Prozesse sind längst normal und absolut unauffälliger Alltag. Flugzeu- ge fliegen „sich selbst“ – Piloten sind allenfalls noch „Daten-Eingeber“ (im Sinne von Route oder allgemein parametrisierter Zielvorgabe). Jede Waschma- schine im Haushalt „wäscht alleine“. Kein Autofahrer beherrscht als Bediener die zeitgleich operierenden Dutzende von elektronischen Regelkreisen – alles im doppelten Wortsinn automatisch. Wir nutzen täglich das Internet – wie es funktioniert, wissen nur extrem kleine Bruchteile der Nutzer. Der gesamte Ak- tienhandel, mithin das finanzielle Wohlergehen der Welt, ist heute ausschließ- lich eine Summe selbstätiger parametrisierter Formeln, also Software. Und eben in der Fertigung, beim Steuern von Maschinen – Software, Software, …
– alles „von alleine“.
In Analogie zu der Welt der weitgehenden „Autonomisierung“ im Sinne selbstregelnder Prozesse und Workflows kann man ableiten:
Der „Kunde 4.0“ ist autonom; er wird nicht „bedient“, er regelt seine Beschaffung selbst.
Als Support wird Kompatibilität („Verknüpfung“) mit eigenen Erfordernissen bzw. Ansprüchen erwartet.
Plus Inspiration, Motivation, visionäre Perspektiven.
Auch das ist alles andere als Theorie, denn in der Industrie und den meis- ten Verwaltungen gibt es längst und fest verankert E-Procurement. Compu- ter- und netzbasierte Beschaffungssysteme („automatisiertes Einkaufen“) mit teils standardisierten („normierten“) oder individuellen Parametern und Leistungsumfängen. Vor allem aber: Weitgehend personenunabhängig („Die Expertise ist in der Software verankert“).
Was in der Industrie für Millionen von Menschen „normaler Alltag“ ist, wird auch im privaten, allgemeinen Lebenalltag immer selbstverständlicher und normaler: Kaufen übers Netz (Internet), Web-Shopping.
Ein signifikantes Beispiel dafür ist der fast vollständige Bedeutungs-Zu- sammenbruch physisch-analogen Medien, die längst in Summe und wirt- schaftlicher Bedeutung durch digitale/netzbasierte Medien überholt, ab- gelöst wurden.
Früher galt das Verleger-Prinzip: Von einem Absender (Autor, Verleger, Publizisten) wurden Medien produziert und auf irgendwelchen Wegen an Leser versendet, ver- kauft. Dies war eine funktionale Einbahnstraße Absender—Empfänger. Analog dazu: das ist das alte „Laden-Prinzip“: Verkäufer übergibt Ware an den Kunden.
Heute ist Infogaining* normal, die Selbst-Beschaffung von Informtionen, Dokumentationen, medialem Content (Inhalt von Publikationen). Die Nutzer suchen sich ihre Quellen aktiv (und interaktiv) aus, bestimmen diese von Fall zu Fall selbst (also oft wechselhaft, „on demand“=nach Bedarf).
[* to gain; engl. für erlangen, Zugewinn, Profit usw.)
„Körperlich Einkaufen“, „selbst hingehen“ wird zur Ausnahme – weil es als bloße routinemäßige Beschaffung völlig sinnlos und nervig ist angesichts längst vorhandener, verlässlicher digitaler Möglichkeiten).
Es sei denn – und das ist die Chance der Einzelhändler in der Zukunft – es wird zum „Event“, zum Erlebnis, „zum Vergnügen“, Erholung, Freizeit, inspirierender Ausgleich („Freizeit“) zu einem ermüdenden Arbeitsalltag. Oder es dient anderen emotionalen bzw. sozialen Zwecken (Gemeinschaft erleben und Gemeinschaftserleben gleichermaßen). War früher Einkaufen eine Zwangshandlung für den Lebensalltag, soll Einkauf – neudeutsch als
„shopping“ anders charakterisiert – ein emotionalisierendes „lustvolles“ Erleben sein.
Kunden sind bereit, sich im Gegenzug zu ihrer dominanten Entschei- dungskompetenz (man akzeptiert „keine Wahl zu haben“ nicht mehr, man mag keine alternativlosen Angebote) „verführen“ zu lassen – und zwar so gut wie immer durch Faktoren, die der klassischen Klassifizierung der Mal- so-Bedürfnispyramide entsprechen.
Womit die Kunden von heute und – bricht nicht die Welt zusammen – von morgen vor allem als potentieller Käuferkreis
- vollkommen inhomogen (vielschichtig),
- nicht mehr durch bisheriges Verhalten charakteristisch fassbar (Kenntnis des Kunden hilft wenig bei der Einschätzung seiner zukünftigen Entschei- dungen),
- ständig wechselhaft
- und mit keinerlei soziodemografischen Parametern determinierbar (ein- schätzbar).
Damit ist für Anbieter/Verkäufer das Dilemma perfekt:
-
Erfahrungen im eigenen Business, den angestammten und bisherigen Märkten sind kaum noch bis gar nicht mehr von Nutzen;
-
bisherige Erfolge sind keine Basis neuer mehr;
-
Zielgruppen lösen sich auf;
-
die tradierten Werkzeuge und Medien, Methoden und Mittel von Wer- bung, PR, Informations- und Kommunikations-Strategie greifen immer schlechter bis gar nicht mehr.
Kundschaft verloren?
Nein, Kunden sind nach wie vor gegenüber jeglichem Lieferanten und An- bieter im Sinne einer
positive Kompetenzvermutung
zu Loyalität („Folgsamkeit“) bereit, wenn es dieser schafft, mit seinem
konstanten Branding
(Markenpflege, Verlässlichkeit der Marke) eine Marketntreue zu ermögli- chen. Diese Loyality kann sich auch auf bestimmte Händlern/Bezugsquel- len beziehen, wenn auch diese eine Marke, ein Brand, sind.
Voraussetzung ist, der Händler/Anbieter (bzw. das Produkt oder die Dienstleistung) macht ein Erfolgsversprechen auf der jeweiligen für ein Individuum aktuell relevanten Ebene gem. Maslowscher Bedürfnisskala; also im Sinne von
- „Überleben“ = Erfüllung physiologischer (körperlicher) Grundbedürfnisse; Sicherheit, Vermeidung von Risiko, größtmöglicher Wert-Erhalt; Zugehörigkeit, hier sind vor allem die „Trend-Follower“ aktiv; fast sklavi- sches Klammern an Vorbilder;
- Anerkennung, Achtung = Produkte, Dienste, Möglichkeiten müssen einen besonderen Status bieten, ermöglichen, sichtbar machen (symbolisch: das Label ist das Wichtigste) – oft psychisch zur Labilität neigendes Menschen
- „brauchen“ dies;
- Selbstverwirklichung im Sinne von „besser als andere“, „über dem Durch- schnitt“;
- Stufen des Expertentums bis hin zu Freaks, Nerds, Total-Ästheten – die begehrteste Zielgruppe, die jedoch auch Anbieter am meisten fordert, eine konsequentes Branding zu betreiben.
Kunden zu Experten machen
Ab der Stufe „Anerkennung/Achtung“ ist es unerlässlich, Kunden zu Wis- senden, Kennenden, Experten zu machen (im englischen Sprachraum/ Marketing als „customer education“ bezeichnet). Sie MÜSSEN über die Qualitäten, Eigenschaften und individuellen Vorteile (Charakteristika, Pro- fil) des Produktes, Dienstes, des Brands EMOTIONAL und RATIONAL infor- miert und beeinflusst werden. Gerade die suggestive emotional gesteuerte
„Lenkung“ ist absolut notwendig …
… und auch an dieser Stelle gibt es einen vorprogrammierten Selbstmord für Hersteller und Anbieter/Händler:
Sobald man Kunden für „frei und unabhängig“ hält, hat man sie verloren. Die Autonomie, die Selbständigkeit der Entscheidung bezieht sich vor al- lem bis ausschließlich auf den Beschaffungsprozess, weniger auf die Mar- ke, das Produkt.
Es gelten daher Grundsätze wie
sell the sizzle, not the steak, Verkaufe das Bruzzeln, nicht das Stück Fleisch;
don’t ask your customer what the want; nicht fragen, was Kunden sollen, sondern ihnen zeigen, was sie wollen sollen und haben können; advantages first; erst die Vorteile präsentieren, dann erst das Produkt.
KUNDEN SIND ÜBERWIEGEND NICHT LOGISCH-INTELLEKTUELL.
SIE SIND EMOTIONAL SENSIBEL, OFT VERUNSICHERT UND NICHT SELTEN ZIEMLICH GUTGLÄUBIG.
Aus diesem Grunde urteilen Sie bei Produkten nur selten rein rational. Beispiel: Da kostet eine Badewanne (oder irgendein anderes Produkt)
„sündhaft viel Geld“. Warum? Begründet wird das mit Design und irgend- welchen Materialeigenschaften. Doch ihre Funktion kann die Badewanne nur erfüllen, wenn der Abflussstöpsel dicht ist – Materialwert vielleicht ein, zwei Euro …
– dieses Beispiel lässt sich sinngemäß auf 99 % aller erfolgreichen und „teuren“ Produkte übertragen.
Ist der Business-to-consumer- (B2C-) Markt also komplizierter, sogar „unbeherrschbarer“ geworden? Ist er „chaotisch“?
Nein, eher ganz im Gegenteil: ziemlich klar strukturiert. Aber völlig anders, als es noch vor zehn, erst recht vor zwanzig Jahren und davor üblich, richtig und erfolgreich war.
Wir erleben eine nicht-lineare Zukunft
mit einer derzeitigen relativ radikalen Umbruchphase; aber insgesamt ist schon „eher morgen“ als „noch immer gestern“. Daher gilt, was wie Sarkasmus klingt, aber „des Rätsels Lösung“ ist, wenn Hersteller, Anbieter und Händler von Marken- und Qualitätssachen und -Waren „mit dem Latein am Ende sind“ und Auflösungserscheinungen ihrer Märkte beobachten:
WER HEUTE NOCH TUT, WAS ER GESTERN TAT, WIRD MORGEN NICHTS MEHR ZU TUN HABEN.
ERFAHRUNGEN KÖNNEN VON GRÖSSTEM NACHTEIL SEIN. SIE VERHINDERN DIE KONZENTRATION AUF DAS ZUKÜNFTIGE.