power & publishing

Die Kraft der publizierten Ideen


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Es gibt eine Kultur, einen allgemeinen Erfahrungsschatz, ein sofort nutzbares Wissen, eine gesunde Infrastruktur und vor allem eine funktionierende Technik, die es jedem Menschen erlauben, jeden anderen Menschen mit grafischen und schriftlichen Informationen

zu versorgen. Man nennt diese Gesamtheit »Druckindustrie« oder »Grafische Industrie«.

 

 

In diese fundamentale Dienst- leistung und diese elementare Bedürfnisbefriedigung sind in immer schnellerer Folge neue Geräte, Systeme, Verfahren und Techniken eingedrungen. Im vorhandenen Wechselspiel zwischen Machbarkeit und Nutzung des Möglichen haben sich neue Anforderungen und Wünsche, neue Maßstäbe und Verhaltensweisen herausgebildet, die sich allerdings noch radikaler verändern werden.

Das Auto hat die Mobilität des Menschen nachhaltig irreversibel verändert. Selbst wenn die heutigen Autos mit ihren benzinschluckenden Motoren aus Energiegründen technologisch aussterben sollten, lässt sich der Drang nach Mobilität nicht wieder auf den Fußgängerradius zurückdrehen. Jedenfalls nicht ohne Folgen, die an Dramatik kaum auszumalen wären.

 

Nie mehr – das ist die daraus gezogene Erkenntnis – wird sich die Menschheit wieder in eine Informations- und kommunikationslose Gesellschaft zurückverwandeln lassen. Es sei denn, man terrorisierte die Menschheit.

Die gewaltige Kraft, die hinter der scheinbar nüchtern-technologischen Vokabel »Electronic Publishing« steckt, basiert nicht auf der Verwendung von Computern, sondern auf deren Effizienz. Sie macht relativ leicht möglich, vielfältiger, schneller, individueller, zweckangepasster, problemloser, bunter, schöner und wirkungs- voller zu kommunizieren. Der Computer ist also nicht die Lösung, er ist die Basis dazu.

 

MEDIEN SIND MACHT. 

 

Medien wirken über den Augenblick und über den eigenen Standort hinaus. Sie heben Raum und Zeit in ihrer Grenzfunktion für den Menschen auf; er bekommt eine Kraft, die seine körperlichen Kräfte in das Mythische, das Jenseits der unmittelbaren Realität liegende erhöht. Er fühlt sich über- menschlich. Es ist daher kein Wunder,  dass  Menschen pausenlos damit beschäftigt sind, solche medialen Waffen zu entwickeln. Weil sie damit über sich selbst hinauswachsen können.

 

Alte Philosophen wie moderne Verhaltens- und Erkenntnisforscher lassen keinen Zweifel daran, dass die stärkste Triebfeder des Menschen der Drang nach individueller Macht ist. Selbst die von den Menschen mit dem Symbol der Unschuld belegte Blüte einer Blume ist ein gerissener Betrüger und Gauner: Sie gaukelt dem Insekt etwas vor und belohnt dessen Befruchtungsarbeit mit süßem Nektar.

 

Diese Beschreibung lässt sich ohne Austausch von Worten und ohne Rückgriff auf Aphorismen auf unsere aktuelle Politik übertragen und als Erklärung des momentanen Weltgeschehens verwenden. Zeitungen und Zeitschriften, Bücher und Kataloge, zum Beispiel, sind solche Blüten. Es bekommt dem Insekt ja nicht schlecht, auf die Blüte hereinzufallen. Es bekommt dem

Konsumenten im kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht schlecht, den Werbebotschaften zu glauben.

 

 

KOMMUNIKATION IST NIE WIRKUNGSLOS.

 

Dass Drucksachen, ob sie elektronisch übertragen oder körperlich gedruckt, auf einem Bild- schirm oder einer Seite Papier dargestellt werden, aus- schließlich und nur ein Mittel der Beeinflussung und geistigen Manipulation sind, ist nicht deren Nachteil, sondern deren unschätzbarer Vorteil. Die Menschheit hat sehr erfolgreich die selbst gestellte Aufgabe erledigt, Werkzeuge zu schaffen, die zu einer massiven Leistungssteigerung ihrer körperlichen Arbeit beitragen. Nun macht sich die Menschheit daran, Werkzeuge für den Geist zu schaffen. Kommunikation, Information, die visuelle Präsentation von Ideen, Gedanken und Fakten sind zur Hauptbeschäftigung des Teiles der Menschheit geworden, die wir der sogenannten »Ersten Welt«, den Industrieländern, zuordnen. Dem Menschen ist angeboren, Grenzen überwinden zu wollen.

 

 

Das »Geschäft mit der Nachricht« ist die Metapher für das Aufblühen und die Macht der Medien. Stand heute ist, dass kein Geschäft mehr zustande kommt, wenn es nicht von Nachrichten und Informationen vorbereitet oder begleitet wird. Ob Wirtschaft oder Verwaltung, gleich welche Branche und welcher Lebens- bereich: Nur Informationen veranlassen Men- schen zu zielgerichtetem Handeln.

 

Moderne Publishing-Techniken in scheinbar widersprüchlichen oder gegensätzlichen, in sich ständig variierenden und wandelnden Ausprägungen ermöglichen dies. In einem viel größeren Maße als die Mechanik, als Maschinen es könnten. Denn diese bedingen bis auf wenige Ausnahmen die Anwesenheit des Menschen. Maschinen sind mehr oder weniger unmittelbare Werkzeuge. Kommunikationsmedien sind mittelbare Werkzeuge. So kann man beispielsweise publizieren, medial erfolgreich sein, ohne im gleichen Moment das Werkzeug Medium zu bedienen! Beispiel: Jemand hat irgendeine Idee und erzählt sie einem anderen. Dieser Jemand stirbt und die weitergegebene Idee ist damit auch tot, denn es wäre purer Zufall, wenn der andere die Idee des einen auf-greift und weitergibt. Ein anderer Fall: Der Erzähler, der Denker, formt seine Gedanken so, dass sie gesetzt und in einer beliebigen Anzahl gedruckt werden können. Nun kann er, der Ideenlieferant, sterben, nun kann der Leser sterben, die Idee lebt! Solan- ge auch nur noch ein einziges Exemplar der Drucke existiert! Doch auch Papier stirbt!

 

Machen wir Drucke körperlich unsterblich, heben wir die Tatsache, dass Drucke auch an physikalische Orte gebunden sind, auf, dann ist damit der Menschheit ein funktioneller Quantensprung gelungen. Die Unsterblichkeit der Information, der Vorlage, der Idee, des Inhaltes wird durch die Summe der Medien und der Computertechnik zumindest in Ansätzen realisiert. Auch das Diktat der Zeit haben wir heutzutage effektiv aufgehoben. Heute schreibe, setze, drucke ich irgend etwas. Und irgendwann, zugleich auch irgendwo und irgendwie wird es jemand lesen. Im Gegensatz zur unmittelbaren Rede bedingt Drucken nicht die Zeitkoordination zweier oder mehrerer Menschen. Selbst die Ortsgebundenheit des Druckes kann überwun den werden. Hier und jetzt spreche ich etwas in ein Mikrofon, dort und jetzt hört es jemand wobei »dort« jeder beliebige Ort der Erde, theoretisch sogar des Weltalls ist. Hier und jetzt zeichnet eine Videokamera ein Bild von mir auf; mein Handeln, mein Spre- chen, mein Tun lösen irgendwo und irgendwann Reaktionen aus. Der Zuschauer kann zu Aktivitäten, Gedanken, Emotionen angeregt, aufge- regt werden, ohne dass es der unmittelbaren Begegnung zweier Menschen bedarf.

 

So etwas zu können und es zu nutzen ist so elementar und so begehrenswert, dass es nicht reguliert werden kann. Der industrielle und kommerzielle Beginn dieser begehrenswerten Möglichkeiten liegt in der sich stetig entwickelnden Druckindustrie.

 

POPULARISIERUNG IST DAS SCHLÜSSELWORT.

 

Was damit die eigentliche heutige Aufga-be ist, liegt auf der Hand: Wie kann man dieses Wissen auch an Menschen außerhalb der Druckindustrie weitergeben, ohne dass es so vereinfacht wird, dass es wirkungslos bleiben muss.

 

Wie kann man dieses jahrhundertelang gewachsene Können so computerisieren und in Hard- und Software gießen, dass es einerseits gewohnt erscheint und andererseits Ungewöhnliches ermöglicht. Wie kann man Regeln definieren, die ihr Gegenteil bewirken: sie sollen die Ordnung achten und sich gleichzeitig von ihr lösen. Dies geht, wenn man das wichtigste Element der Drucksachen, die Schrift, das Werkzeug »Buchstaben«, nicht als eine äußere und opti- sche Form, sondern als Funkti- on begreift und nutzt.

 

Nicht nur in Kitschromanen kommen Menschen vor, die über Bücher und andere buch- staben-codierte Ereignisse weinen oder lachen. Die gleiche Kraft, die dem Bild innewohnt, wohnt dem Wortbild, den Wörtern, den Buchstaben inne. Die Variabilität, die den Buchstaben eigen ist, kann von keinem Bild erreicht werden. Dieser Unterschied löst in bezug auf die grafisch-visuelle Information das Henne-Ei- Problem, sprich die Wertigkeit von Bildern und Buchstaben, ein für allemal.

 

DIE SCHRIFT ALS UNTER- SCHÄTZTES  ELEMENT.

Bilder waren zwar entwicklungsgeschichtlich zuerst da, aber erst Buchstaben ermöglichten das »über sich hinauswachsen«. Buchstaben kennen keine Dimensionierung des Denkens und Darstellens, des Codierens und Erinnerns, der Bezüglichkeiten und der Zuge- hörigkeit.

 

Sprache und mit ihr die Schrift zeichnen viel komplexere, viel lebendigere Bilder, als man gemeinhin annimmt – und das in kürzester Zeit. Sie zeichnen nämlich Phantasiebücher im Kopf, im Denken, in der Erinnerung des einzelnen. Man nehme beliebige Stellen der guten Literatur, in denen komplexe Szenarien beschrieben sind, und male sie.

 

 

Es ist nur in Ansätzen möglich. Und Maler, die Inhalte, Werte, Gefühle und Stimmungen ausdrücken wollen, greifen ohnehin zum »Abstrakten«. Falsch wäre, den Schluss zu ziehen, die Buchstaben seien generell dem Bild überlegen. Für beide grafischen Visualisierungen gibt es gute Gründe, sie situativ oder aufgaben- gerecht so oder anders zu verwenden. Doch die heutige Zeit läuft Gefahr, das Bild als Fortschritt zu feiern. Zumal dieses Bild zuerst bewegt und dann auch noch bunt geworden ist.

 

Wer die Schrift nicht nutzt, verliert die Fähigkeit, sich differenziert auszudrücken, verständlich zu kommunizieren.
Er 
schreitet rückwärts in der Entwicklungsskala.

 

Die Medien Fernsehen und Video, Inbegriffe und bisherige technische Gipfelpunkte der bildhaften grafischen Visualisierung, entdecken jedoch immer mehr die Schrift. Und das ist kein Zufall. Welche Kraft Schrift und Typo- grafie hat, lässt sich an einem verblüffenden Beispiel belegen: Wenn ein an unseren Kulturkreis gewöhnter Mensch zu einem Zeitungskiosk geht, dann wird er auf einen einzigen Blick erkennen können, was eine Zeitung ist.

 

Wieso eigentlich? Alle Zeitungen sehen doch verschieden aus. Ja und nein. Zeitungen sehen grundsätzlich aus wie eine Zeitung: nur wenn man definieren soll, was eine Zeitung ausmacht, dann wird es schwierig. Denn die vordergründige und spontane Antwort »der Zeitungstitel oder -kopf« ist nachweislich falsch, weil man auch die Innenseiten einer Zeitung als Zeitung identifizieren würde.

 

DAS GENRE DEFINIERT SICH SELBST.

 

Definiert man, Zeitungen seien in Spalten angeordnet, so hat man gleichzeitig auch eine Vielzahl von Büchern und Katalogen beschrieben. Auch andere grafische und gestalterische Elemente führen nicht zum Ziel. Komplexer und verwirrender wird es, wenn man gar Bücher, Kataloge oder Werbedrucksachen an ihren Merkmalen beschreiben wollte mit Charakteristika, die gleichzeitig andere Gattungen ausschließen.

Und dennoch kann im Regelfall der vielzitierte »Mann von der Straße« Drucksachen in ihrer Art (und damit im Regelfall auch im Wert und der Bedeutung für ihn) spontan erkennen. Legt man eine beliebige Ausgabe einer x-beliebigen Yellow-Press-Zeitschrift neben eine y-beliebige, so unter- scheiden sich die Titelseiten trotz der Uniformität der abgebildeten Pseudopersönlichkeiten und Glitters an winzigen Details wie Kleid oder Augenfarbe.

 

WORTE  ALS  SIGNALE. 

 

Legt man nur ein einziges solches Titelblatt dem Probanden vor und deckt gleichzeitig den Titel ab, ist schwer auszuma- chen, um welches Produkt es sich handelt. Die erste Unterscheidung gilt also immer grundsätzlich dem Typus der Drucksache, die inhaltliche oder sonstwie differenzierte Unterscheidung ist erst auf den zweiten Blick erkennbar. Die daraus zu ziehende Lehre ist: die Makrotypografie ordnet der grafischen Information, also der Drucksache, die Bedeutung oder Kategorisierung zu, die Mikrotypografie (das Detail) ihren Charakter. Wenn dieser Regelsatz gilt, dann hat er unausweichliche Konsequenzen:  der Anwender und Hersteller grafischer Visualisierungen ist nur in Maßen frei in seiner Kreativität. Er muss sich innerhalb bestimmter Regeln bewegen. Regeln, die von seinen Mitmenschen verstanden werden. So wie der Sprechende keine Kommunikation betreibt, wenn er im Lande A in der Sprache B spricht, so wird er in seinem Drucksachen-Zweck nicht verstanden, wer ihr ein falsches Gesicht gibt.

 

Wer die Schrift nicht nutzt, verliert die Fähigkeit, sich differenziert auszudrücken, verständlich zu kommunizieren. Er schreitet rückwärts in der Entwicklungsskala. Was zu verkraften wäre, wenn nicht die allgemeine Welt- und Wirtschaftsentwicklung in genau eine andere Richtung verläuft: Noch nie war die Welt im Sinne der Mobilität so klein und eng verknüpft. Noch nie hat sie es deshalb so dringend nötig gehabt, verständlich zu kommunizieren.

 

DIE WELT WIRD GRÖSSER. DIE INFORMATIONEN  GEZIELTER.

 

Zu kommunizieren auf dieser Welt ist deshalb mehr als eine kulturelle oder optional-frei- willige Aufgabe: je mehr Menschen  sich  die  Erde  teilen, desto wichtiger ist, dass sie Rücksichtnahme und Verstehen üben und brauchen. Dies jedoch ohne jedermann zugängliche und verständliche Kommunikationsregeln und - werkzeuge zu erreichen, ist schlechterdings nicht vorstellbar. Jede auch noch so kleine Nachlässigkeit mit den Werkzeugen und Mitteln der Kommunikation hat die gleiche Dimension wie der unkontrollierte Umgang mit einem Umweltgift.

 

Es ist daher legitim und sinn- voll, am »Beutekampf« um die Macht teilzunehmen. Wer darin Erfolg haben will, kann nicht auf die Wirkung, nicht auf die Details der Informations- und Kommunikationsmittel verzichten.

 

Information ist eine Ware. Es haben diejenigen die größeren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chancen, deren richtige Informationen zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Art und Weise im richtigen Medium bei den richtigen Empfängern präsent sind.

 

Der Fernsehnachrichtensender, dessen Satellitenleitung dauernd von Störungen überlagert wird, wird nicht weiter ernst genommen. Diejenigen Drucksachen, die nicht lesbar und verständlich sind, können ebensowenig das Publikum begeistern. Was die scharfen Bilder des Fernsehens, was die knisterfreien Töne des Radios sind, ist die angenehme Typografie einer Drucksache.

 

Schrift ist Ausdruck des Charakters. Schrift ist der Charakter – im französischen und im englischen Sprachraum ohnehin: caractére, character.

 

Schrift als Basis der Bilder, der Visualisierung, Schrift als Beweis für die Möglichkeit, selbst abstrakte Gedankenkonstruktionen über Zeiten und Räume zu erhalten und zu transportieren: Wem es gelingt, auf dieser Basis die zu- künftige Technik zu nutzen, der hat den größten Vorsprung in Information und Kommunikation.