Schön, dass wir heute alle Individualisten sind. Mit verheerenden, grausamen Folgen: ein jeder lebt in einer eigenen mentalen Welt – und keiner versteht noch je einen anderen. Je intensiver wir „kommunizieren“ (was es ja nicht mehr ist), desto weiter entfernen wir uns geistig voneinander.
Fragt sich nur, in wessen Kopf ???
Die richtigen Antworten bekommen Sie, wenn Sie sich durch "wenke.net" und die rechts im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Tabs lesen ....
Medien und Kommunikations-Technologien sind schön und gut. Richten aber auch entsetzlichen Blödsinn an. Und wir, als hilflose User, mittendrin – und mehren das Chaos. Indem wir uns verzweifelt bemühen, bemerkbar zu sein.
Ein Fachartikel. Ziemlich komplex. Wert zu lesen. Aber man wird vielleicht auch erfahren, warum man heutzutage immer weniger verstanden wird – oder sich verständlich machen kann.
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"Seit Jahrzehnten" veröffentliche ich Monat für Monat in der Fachzeitschrift "druck&medien" (Hamburg) unter der Rubrik "Meinung" pointierte, glossierte Beobachtung des aktuellen Medien- und Kommunikations-Geschehens. Hier sind etliche wiedergegeben, die auch nach Jahren nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.
Auf dieser Internetseite sind einige wenige (aktuelle) Glossen zu sehen. Die komplette Sammlung können Sie als PDF oder epub (elektronisches Buch) auf Ihr(en) Computer/Pad laden.
Der Download ist (vorerst) kostenfrei, aber rein mental vielleicht gar nicht so ganz umsonst ...
Gut, dass Drucksachen beschränkt sind
Früher haben wir Zeitung gelesen, Bücher, Zeitschriften, Kataloge und Prospekte. Heute liest man permanent irgendwas im Internet, via Tablet, Smartphone,
Laptop, auf dem Fernseher, der Workstation. Man könnte meinen, nun ja, im Prinzip hat nur die Technik gewechselt, früher Gedrucktes, heute Digitales – nein, so einfach ist das
nicht.
Die Drucksachen hatten einen riesigen, unschätzbaren Vorteil. Eigentlich sogar ganz viele Vorteile. Denn wenn man sie las, war man irgendwann fertig mit lesen.
Im Internet ist man nie fertig mit lesen.
Bekam man eine Werbung, einen Brief, einen Katalog, konnte man den von vorne bis hinten lesen. Das Internet hat kein vorne und hinten. Hatte man früher einen
Bericht abzugeben und war im Verzug, zählte die Ausrede „liegt wohl noch auf der Post“ als durchgängig akzeptiert. Heute: „Häng mal eben an die Email …“ – Wie blöd aber auch.
Ein Buch kann man zur Seite legen, wenn man mag. Das Handy, Tablet, der Laptop machen „blinnngggg“ oder „oink“ oder „wau-wau“, wenn eine neue Message eingeht.
Es geht immer eine neue Message ein.
Bei Gedrucktem erwartete man, dass man drüber nachdenkt, drüber schläft, es in Ruhe studiert. Bei digitalen Botschaften erwartet man, dass man binnen Minuten
antwortet. So sehen die meisten Antworten dann auch aus. Vollkommen unüberlegt.
Kannte man einst etwas nicht, wusste man nicht Bescheid, galt als logische Erklärung „Das habe ich nicht gelesen“ oder zugeschickt bekommen, keine Kopie
erhalten. Neuerdings: wieso man nicht in diesem wie in allen anderen Foren sowie Member, nicht mit jedem per Facebook-befreundet, nicht twittert, bei Xing gelistet, beim Newsletter eingetragen
ist – ja, gibt’s das denn auch? Unmöglich, wer sich so abkapselt.
Ein Buch gehörte mir, ein Posting keinem und allen. Man machte einst Bilder, wenn es sich lohnte. Heute knipst man vor allem, was keinen interessiert. Die Zeitung war willkommene Pause im Tagesablauf, die News-Alerts von heute sind gehasste, zwanghaft süchtig machende Unterbrechung in der Alltagshetze.
Ich will, glaube ich, dass es wieder so wird wie zu Gutenbergs Zeiten. Wir können uns ja gerne mal in Ruhe darüber unterhalten, ich muss nur mal eben schnell meine Emails checken.
Was ist „sehr gut“ (noch) wert?
Es war der sprichwörtliche „clash of cultures“, der konfrontative Zusammenprall zweier Welten. Wenn ich mich bitte mal kurz als Gourmet bezeichnen darf – es spielt nämlich eine Rolle.
Hatte ich doch jüngst die Gelegenheit, bei einem wirklich letzten Könner und Großmeister seines Fachs ein Lebensmittel zu verköstigen, von ihm traumhaft lecker zubereitet. Rollende Augen bei mir, wohliges Stöhnen über so viel himmlichen Geschmack, Begeisterung pur. Mein Nachbar, an Jahren deutlich jünger, begnügte sich mit einem „na ja“ und konnte sich auch auf heftige Nachfragen nicht über ein „neee, nich’ so richtig“ hinausbewegen. Derweil ich mich kulinarisch im Siebten Himmel des Eldorados wahrer Köstlichkeit wähnte.
Das Erleben erinnerte mich stark an viele, heftige, unerfreuliche und ergebnislose Dispute und Diskussionen auch über alles, was mit Bildgestaltung und Layout, Reproduktion und Colormangement, Druck- und Papierqualität und dergleichen Grafisches mehr in Zusammenhang steht. Da gibt es die einen, die „alten“, die noch „von der Pieke auf“ gelernt haben und hohe, höchste Qualität zu schätzen – und vor allem zu erkennen – wissen. Und manch andere, die zufrieden sind, wenn’s halt gedruckt auf Papier steht, egal wie, ein Bild irgendwie bunt ist, es auf dem Bildschirm schön flimmert, wackelt, sich in schwammige Schlieren auflöst. Schön geheißen von jenen, die – behaupte ich einmal – nicht den Schimmer einer Ahnung haben, was sein könnte und wie es sein müsste, wenn man sich um Güte, Qualität, Optimierung, Hochleistung bemüht.
Die dann aber auch nicht mehr, und das ist das Schlimme, der für viele wirtschaftlich desaströse Mega-GAU, im Ansatz bereit sind, das Bessere zu honorieren, dafür den Preis zu zahlen. Denen Qualität nichts mehr sagt. Nicht aus Ignoranz, sondern weil sie Qualität nicht kennen, keinen Maßstab haben, der noch für die „Früheren“ ganz selbstverständlich war. Mit der Folge, denen, die wirklich (noch) etwas können, geht immer mehr die Kundschaft verloren.
Um Sie als Leser in eine vermeintliche Logik-Falle zu locken: Sollten Sie diesem meinem Statement zustimmen, legen Sie ein Zeugnis für
Qualitätsbewusstsein ab. Sollten Sie dies hier für Blödsinn halten, gehören Sie zu jener Generation, die kaum noch weiß, wie schön und nützlich Gutes sein kann. Der ganz wortwörtlich
genommen alles egal ist, also unterschiedslos.
Levelizing
Nie gehört, den Begriff? Verdeutscht könnte man auch sagen Gleichmacherei. Das ist unsere Zukunft. Vor allem die unserer Kinder und Kindeskinder.
Die gute Nachricht vorweg: Die Schule wird fast abgeschafft. Nur noch 3 Jahre Grundausbildung in Lesen. Das wars.
Die schlechte Nachricht: Es fällt gar nicht mehr auf, wie blöd jeder einzelne ist. Weil alle gleich blöd sind.
Und das kommt so: Zwar gehört die Zukunft den Icons, Bildern, bunten Grafiken, aber ein paar Buchstaben in irgendeiner Sprache sollte man noch deuten können. Ab dann macht man das Suchmaschinen-Abitur oder das Navi-Studium oder den Chat-Kurs oder die Messenger-Lehre.
Denn was immer wir in Zukunft wissen, können und fähig zu sind, werden wir aus den Geräten beziehen, die einst Computer hießen. Und nunmehr Smart-Devices. Wo Hamburg liegt, oder Köln oder Honolulu? Das Navi weiß es, die Suchmaschine auch. Was heute im Kino läuft oder welcher Fußballverein gegen wen wie gespielt hat? Sich einfach in die Chats einklingen. Welcher Arzt bei welchem Unwohlsein? Auf den Foren bekommt man erste Hilfe. Berufe lernen? Wozu, es wird ja eh alles per Software geregelt.
Und so hört endlich dieses schon Kinder krankmachende Strebertum auf. Ob man mit einem Tornister angesagten Brands oder Third-Hand-Klamotten aufläuft – zum Schluss werde alle das gleiche SEA haben, das Search-Engine-Abitur. Wissen ist, was in den Suchmaschinen gefunden werden kann. Intelligenz ist die Summe der Channels, auf denen wir chatten. Hochbegabte und Überflieger lernen noch, ein Content-Management-System rudimentär zu bedienen – das gilt dann sozusagen als akademisch.
Schöne gleiche Welt. Endlich ist erreicht, wovon Philosophen und Sozialromantiker schon immer schwärmten. Der Gleichheit aller unter allen ihresgleichen. Jeder hat die gleichen Links. Alle sind Kinder der gleichen Datenbanken.
Und weil aller Individualismus abgeschafft ist, merkt auch keiner, wie blöd es ist, wenn man blöd ist. Überhaupt: Was ist Blödheit? Volksschullehrer Wikipedia klärt auf: Einst galt es als ein Mangel an Selbstvertrauen, Schüchternheit gegenüber anderen. Anders ausgedrückt, man weiß sich nicht mehr selbst zu helfen.
Was, wenn … ???
Was geschähe, wenn sämtlicher Flugverkehr auf Dauer verboten oder unmöglich wäre? Binnen weniger Jahre hätten wir weltweit eine komplett neue Verkehrs-Infrastruktur: neue Eisenbahntrassen, verbesserte Fernstraßen und andere (bequemere) Vehikel, vielleicht sogar vollautomatisch auf separaten Spuren. Es gäbe eine Renaissance der Linienschiffe. Irgendwie könnten wir den Ausfall kompensieren.
Was geschähe, wenn sämtliche Zeitungen und Zeitschriften auf Dauer verboten wären? Zwangsläufig hätten wir binnen weniger Jahre eine komplett neue Informations- und Medienstruktur und -Kultur. Warum sollten Journalisten und Autoren nicht im Internet und seinen technisch möglichen Derivaten (allgemein-offene oder Punkt-zu-Punkt-Verbindungen) ebenso literarisch und intellektuell, kritisch und nützlich wirken und werkeln können wie jetzt auf Papier? Papierdünne Bildschirmfolien sind doch auch schon längst erfunden!
Wir zahlen in Deutschland eine gesetzlich uns allen aufgezwungene Radio- und Fernsehgebühr. Warum nicht auch eine E-Medien-Gebühr? Mit dieser Pauschale hat man Zugang zu allen dann digital-elektronisch distribuierten Medien – egal, wie sie daherkommen. Nichts spricht funktionell oder kulturpolitisch und „meinungs-freiheitlich“ dagegen. Im Gegenteil. Endlich hätten auch diejenigen eine Chance, die wegen der Kosten nie und nimmer als Beginner mit Print einsteigen können. Es wäre endlich das, worauf wir stolz sind und für essentiell erachten: totale Meinungsfreiheit.
Das bedenkend, können wir eigentlich nur uns fragen: Wieso tun wir es nicht? Wieso drucken wir noch? Es verhindert nur, dass wir Meinungsfreiheit haben. Print ist Zensur. Weil es den Zugang zur Veröffentlichung an die Fähigkeit zur Vorfinanzierung knüpft.
Diesen Standpunkt habe ich nicht von Bolschewisten, Anarchisten oder Spinnern übernommen. Sondern von Johann Gensfleisch zu Gutenberg. Neben dem rein Technischen war es sein Werk, den bis dato monopolistischen Klosterschreibern das Privileg zu entziehen. Warum lernen wir nicht daraus und killen alles, was mit vorfinanziert-gedruckten Medien zu tun hat?
Ich weiß, einige von Ihnen müssen jetzt schnell zum Hausarzt. Meine Empfehlung: Diazepam, es wird bei allen akuten und chronischen Spannungs- und Erregungszuständen (Nervosität) sowie Angststörungen angewendet. Einer der Handelsnamen: Valium.
Bitte schriftlich
„Nun“, sagte mir mein Gesprächspartner am Telefon, ein ausgedehntes uuuuuu deutlich betonend, „nuuuuun, das Logo ist nicht schlecht, aber anders als sonst. Aber“, und wieder lag die Betonung auf
dem Vokal aaaaaaa, „aaaaaaber es gefällt mir auch viel besser“.
Ich stutzte. Anders? Wieso anders. Seit Monaten benutzte ich für diesen meinen Klienten bei grafischen Arbeiten das gleiche Logo bzw. Wortmarke, immer aus der gleichen Schrift. Wieso anders? Bis mir siedendheiß einfiel, au weia, diesmal hatte er ja statt eines PDF eine Word-Version bekommen, weil es mir darum ging, dass er noch mal genau den Text Buchstabe für Buchstabe durchging.
„Ja wissen Sie“, setzte ich nun zur souveränen Erklärung an und plauderte über den unterschiedlichen Umgang mit Schriftfonts bei verschiedenen Programmen und auf unterschiedlichen Plattformen. Mir wurde ahnungsvoll klar, der Klient müsste eine entsetzlich verzerrte Version des Logos vor Augen sehen, und je mehr ich mich in Rage redete über die Problematik und Schönheit von Schriften, desto mehr wuchs bei ihm die Überzeugung: „Nöööö, jetzt gefällt es mir besser.“
Erstens: das Logo war Schrott. Aha, das also gefiel meinem Kunden. Zweitens: die falsche Schrift. Das also kümmerte meine Kunden gar nicht. Corporate Identity – von so einem Unsinn solle ich ihm erst gar nicht erzählen. Mir lief es kalt über den Rücken.
„Äääähhh, mmmmhhhh, jaaaaa“, begann ich zu stottern, „wissen Sie, wenn ich Ihnen immer das Logo so kaputt anliefern soll, dann bekomme ich Probleme; denn ich arbeite auf Macs, Sie haben Windows-Kisten, ich nehme InDesign, Sie haben nur Word – da ist es schwer, die Seiten und Gestaltungen so kaputt zu machen, dass sie immer gleich kaputt aussehen. Das wechselt. Wissen Sie, das hängt davon ab, ob …“ – Er unterbrach mich schroff: „Ich denke, Sie sind der Fachmann!!!“ Die drei Ausrufezeichen waren deutlich zu hören.
Ich, kleinlaut: „Ja, aber nicht für Schrott“ – „Wieso Schrott, das ist doch schön!“. Ja. Nein. Also eigentlich nein, nie und nimmer. Mir brach der Schweiß aus.
Wollte ich diesen Kunden behalten, musste ich endlich begreifen: wer eine Sache richtig macht, bekommt Probleme. Lieferst Du Mist, Murks und Matschiges, bist Du ein Held.
Ich schaute ins (elektronische) Telefonbuch. Irgendwann muss man im Leben ja mal anfangen, sich in psychotherapeutische Betreuung zu begeben.
Danke, Google. Blöder Bücherschrank.
Als uralter Mensch gehöre ich noch zur Generation der Erd-Ureinwohner, die sich Bücher gekauft haben und zuweilen noch kaufen. Mehr noch: die sogar Bücher lesen.
Was mir in einer neulich geführten unterhaltsam-anregenden Diskussion außerordentlich entgegenkam. Erinnerte ich mich doch beim munteren Parlieren an eine Stelle in einem Buch, die das, was wir uns gerade mühsam zusammenphantasieren wollten, perfekt und treffend ausdrückt.
Also prahlte ich mit dem Zitat aus diesem Werk – jedenfalls einem ungefähren. Das Zitat endete so, wie viele Zitate enden. Nämlich mit der Schlussbemerkung „… oder so ähnlich“. Peinlich, denn nun wurde ich gefragt, wie ähnlich und wie genau denn nun der im Buch abgedruckte Wortlaut wäre.
A ja, Buch, ja, Buch, ganz genau: Buch. „Ähhh, ich hab’ das Buch, also das Buch, das ist, ich glaub, wart’ mal g’schwind, das müsste …“ Mühsam ächzte ich aus meinem Sessel hoch und schwankte zur Bücherwand. Mein Blick irrte haltlos umher. Ja, ein Buch war’s, in dem ich es gelesen hatte, ein dickes grünes, nein, das kleine blaue Bändchen, jedenfalls – es müsste …
Ich trat näher zur Bücherwand, so als könnte ich nun schnüffeln, wo das Zitat zu finden sei. Mit Mühen vermied ich, mir den Hals zu verrenken – warum, verflixt, steh’n mal die Rückentitel von unten nach oben und mal von oben nach unten und wieso ordnet man solche Unterschiede perfekt abwechselnd ein. Das Buch, ja, das Buch, – – hier, nein, dort, vielleicht, das Buch …
Derweil war mein Gesprächspartner kurz aufgestanden, zum Schreibtisch mit dem Laptop gegangen, hatte tipp-tipp-tipp, klick-klick gemacht und ich hörte ihn, mit feierlicher Stimme, triumphierend das Zitat zitieren, perfekt, richtig, mit stimmiger Betonung.
Ich stand mit dem Rücken zu ihm, mit dem Kopf zu den Büchern, so wie man in Jerusalem sich zur Klagemauer wendet und heftig mit dem Kopf nickt. Das tat ich auch, ein wenig sah es aus, als wolle ich mit dem Kopf vor die Wand laufen – und ich war froh, dass man nicht meine Tränen sah.
So schöne viele teure meine Bücher. Und dann: Google.
Der Fairnes halber war ich Google jedenfalls nicht böse.
Mimikri
Neulich bekam ich, als eine von vielen täglich, und so wie andere genervte Menschen auch, diese Email: „Grüße Freund, Ich wende mich an Sie für Ihre Hilfe in dieser vertraulichen Geschäfts Vorschlag mit vollen Geschäfts (£ 11,500,000.00) Nutzen für beide von uns zu fragen. Ich werde so schnell geben Ihnen einen umfassenden Detail, wie ich ein Wort von Ihnen. Wenn wir einmütig sein, senden Sie mir die Antwort damit wir beginnen, diese Linie der Diskussion. Mit freundlichen Grüßen, Mein Herr. Jon Cunliffe Vize-Gouverneur, Finanzstabilität Bank of England.“
Nun sagt ja der normale Menschenverstand: Betrüger! So, sagt er das? Wieso? Ach so, ja, „wegen schlechtem Deutsch!“ – Wegen schlechtem Deutsch? Wenn ich in den Internetforen, Bewertungs-Portalen, Pressemitteilungen, Gebrauchsanweisungen für Kleinmöbeln und Elektrokram lese, erst recht in Sitzungsprotokollen, Skripten für Schule, Lehre, Forschung, dann frage ich: wieso schlecht?
Das ist doch heute normal! Wo wir früher mühsam Sprache, Stil, Ausdruck, Orthographie begebracht bekamen, lernen, üben, verbessern mussten – bleiben heute (viel zu oft) nur noch Gestammel, Verhunzungen, Satztrümmer, blöde verschrobene und verdrehte Formulierungen oder entsetzlich verstümmelte Geflügelte Worte. Mentaler Blubber-Müll, gedankenloses Sprach-Erbrochenes, pure Hilflosigkeit. Und das quer durch alle Bildungslevel.
Also habe ich Furcht, in nicht allzu ferner Zeit NICHT mehr unterscheiden zu können, ob solches Wortgestammel der Email aus dem Übersetzungsautomaten der Betrüger kommt oder ganz persönlicher Stil des Bank-Vizegouverneurs ist. Denn selbst Journalisten, man kann es täglich in den Medien lesen, müssen ja keineswegs mehr sattelfest in Sprache, Stil und Ausdruck sein. Vielleicht fällt dann eine Betrüger-Email auf, weil Sie fehlerfrei daherkommt. – Da stimmt doch was nicht!
Zweitverwertung
Dies ist eine originale Pressemeldung: „Telefonieren vielen Smartphone-Usern nicht wichtig // Textnachrichten, Surfen und Weckfunktion sind wichtiger für Nutzer // Nachrichten schreiben: Hat das Telefonieren abgelöst // Unter den beliebtesten Anwendungen eines modernen Smartphones findet sich Telefonieren erst an sechster Stelle. 40 Prozent der Befragten meinen sogar, dass sie ohne dieses Feature auskommen könnten.“
Erstens: da freuen sich die Hersteller zu wissen, dass es in absehbarer Zukunft keine Pads, sondern nur noch XXXL-„Telefone“ geben wird. Und zweitens: Kommt davon, wenn die Jugend nicht mehr lernen will, schon gar nicht Geschichte, und daher glaubt, alles passiere zum ersten Mal.
Als es noch keine Smartphones gab, waren Zeitungen das angesagte „social community tool“. Ja, man las sie. AUCH. Und dann hingen die Zeitungen, in buchstäblich handgroße Teile gerissen, auf dem Klo. Toilettenpapier war Luxus, teuer – oder schlichtweg gar nicht in Läden kaufbar. Ich erinnere mich noch an Heringe, die am Markt gekauft wurden – und in Zeitungspapier nach Hause getragen wurden. Zeitungspapier ist ein toller Isolierstoff, man kann drauf sitzen (ist warm) oder Planzen damit abdecken. Zwischen Büchern kann man Blumen pressen und Kundwerke daraus machen. Bücher sind schön schwer, das hat einen Bügel-Effekt. Und aus Zeitschriften mit ihren schon damals bunten Bildchen konnten die Bösen Erpresserbriefe, die Guten wunderschöne Hochzeitszeitungen schnippeln.
Womit klar ist: schon immer war die eigentliche Zweitverwertung der Medien das viel Wichtigere. Der praktische Nebeneffekt überwog das Eigentliche. So habe ich beispielsweise die Platine eines Uralt-Computers in einen schönen Bilderrahmen geschraubt – nun fragt mich jeder, welcher tolle Künstler solche modernen Installationen macht. Und welche stilbewusste Dame läuft noch mit einem Taschenspiegel in der Handtasche rum, seit Handys Kameras haben … ? !
Virtuelles Drucken im Print-Simulator
Gerne schenkt die Ehefrau, bar sonstiger Ideen, dem heldenhaften Ehemann eine Stunde im Flugsimulator, so als Widescreen-Adventure. Die Ehefrau erhält im weihnachtlichen Gegenzug das neueste Pad, auf dem sie dann aus dem Supermarkt beim Einkauf virtuell die Heizung, die Klospülung und den Backofen bedienen kann, die Babies beim Schreien und Strampeln beobachtet (live, in Farbe, Stereo, per App). Der Mann arbeitet an der Börse, der Aktienhandel ist sowieso nur noch virtuell. Vor den Kindern war die Frau im Stellwerk bei der Bahn beschäftigt und klickte Weichen und Signale im Hauptbahnhof rein simulativ-digital remote netbased.
Die Kinder gehen nicht zum Geigenunterricht, sie haben die YZ-Box mit Bodymovement-Sensoren, ihr Musikmachen (gleichwohl „Krach“ die bessere Vokabel wäre) ist virtuell simuliert durch Körperzucken (Aufmerksamkeits-Syndrom und so). Gegessen wird Convenience, das ist so etwas wie virtuelles Kochen, man tut als ob, aber alles kommt aus der Plastikpackung. Stuhl, Tisch, Salzstreuer, Tischdecke: sowieso im virtuell simulierten, digital stimulierenden Kaufhaus gekauft, also bei den Kriegsdamen (griech: Amazonen). Die Blumen per Klick von Fleurop, der virtuellen Simulations-Stimulations-Gärtnerei, direkt aus Kenia.
Das sehend, hörend, erfahrend, kam ich auf die Idee, ach, wie prächtig wäre es, man könnte virtuell das Drucken simulieren. Alles kein Problem, wurde ich belehrt, gibt es schon. Es heißt PDF und ePub, man findet es zu Hauf im Internet, also dem virtuellen Verlag, dem Buchhandlungs-Simulator und wenn man will, können die Buchstaben auch weggelassen werden und man muss nur noch Movies gucken. Für die, deren Verstand auch nur simuliert ist. Und die eigenes Denken für etwas Virtuelles halten. Statt etwas Virtuosem.
Menschen lieben Interaktionen, das miteinander-in-Kontakt-treten. Wozu Kommunikation als "verbale Begegnung" allemal gehört.
Warum eigentlich?
Es mag komisch klingen, aber zu interagieren ist aktive Friedensarbeit. Denn nicht zu- und untereinander ein entspanntes und angstfreies Verhältnis aufzubauen, hieße Wettbewerb und sogar Kampf zu führen. Weshalb Menschen, die nicht zur intelligenten Kommunikation fähig sind, stets aggressiv sind – und umgekehrt, Menschen, die in Rage sind, können sich nicht verständigen.
Aus dem puren Überlebenstraining – Kooperation zahlt sich immer aus !!! – wurden regelrechte "Künst", die man unter "Gesellschaftsordnung" ("das gehört sich so") zusammenfassen kann. Und diese
wiederum wurden durchaus professionalisiert, kommerzialisiert, typisiert – man kennt sie heute als "Soziale Medien", als Literatur, aber auch als Werbung, Medien allgemein, das Gelabere in
Firmen, Vereinen, Verbänden unter dem verschleiernden Namen "Meeting", und unter Freunden, Familie, Arbeitskollegen als "dauerndes Gequatsche". Über all das mehr zu wissen und sich Gedanken zu
machen ist zwar keine Pflicht, kann aber höchst interessant und amüsant sein; dazu lernen kann man auf jeden Fall. Wissen, das einem sicherlich weiterhilft. Hier kann man schon mal ein wenig
anfangen damit:
Anmerkung: An keiner Stelle handeln Controller in Unternehmen idiotischer (und das tun sie, generell betrachtet, leider sehr oft), als wenn sie an den Ausgaben für Kommunikation sparen. Ein Zahlenmensch hat nur im Ausnahmefall Gefühl für die Wirkung der Kommunikation, weil er auf mentale Welten reduziert ist, die nichts mehr mit Menschen und dem Wirklichen Leben zu tun haben. Controller, die Werbegelder einsparen wollen, gehören auf der Stelle entlassen, weil sofort erschießen ist ja verboten, wäre aber sinngemäß gemeint.